Foto: Jean Sebastian Nass
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DIE JÜDIN VON TOLEDO -
nach dem Roman von Lion Feuchtwanger
Das Projekt:
Szenische Tiefenbohrung mit Motiven von Lion Feuchtwanger.
Mit Texten von Hannah Arendt, Youssef Chahine, Kristo Šagor, Klaus Theweleit.
Eine Hommage an 1700 Jahre Judentum in Deutschland und an die friedenstiftende Kraft von Mischgesellschaften.
Im Zusammenspiel von Menschen und Marionetten entsteht auf der Bühne ein zeitüberspannendes Tableau, vor dem sich Historisches und Märchenhaftes zu Geschichte verweben.
Lion Feuchtwangers Roman 'Die Jüdin von Toledo' führt zurück ins mittelalterliche Kastilien unter der Herrschaft Alfons VIII. Es sind unruhige Zeiten, das Leben wird zerissen von Kriegen, obgleich nirgends sonst in Europa die unterschiedlichsten Kulturen so fruchtbar und eng miteinander verbunden waren wie auf der iberischen Halbinsel. Doch das goldene Zeitalter des legendären Al Andalus ist vorbei. Muslimische und christliche Reiche stehen sich erbittert gegenüber und kämpfen um die Macht.
Feuchtwangers Roman zeichnet die Bemühungen des jüdischen Kaufmanns Jehuda Ibn Esra nach, ein friedliches, kulturvolles und properierendes Kastilien zu entwickeln. Sein Einfluss am Hofe König Alfonsos ist gewaltig und auch wenn der Herrscher ungehobelt und kriegslüstern ist, so ringt Jehuda ihm doch etliche Zugeständnisse ab, erreicht Unglaubliches für Kastilien und erringt letztlich auch das Vertrauen des Königs. Nicht alle Kräfte in Kastilien sehen das mit Wohlwollen - die politische Lage ist angespannt, hier werden stets Sündenböcke und einfache Antworten gebraucht.
Die Liebe zwischen Jehudas Tochters Raquel und König Alfonso scheint inmitten der politischen Wirren, der Macht- und Glaubenskämpfe auf wie eine Insel der Möglichkeiten - und zugleich bringt sie alles ins Wanken. Als der Krieg schließlich ausbricht, brutal und niederschmetternd endet, sind die Schuldigen schnell gefunden: die Juden. Es endet, wie so oft: tragisch - und die Täter sind die, die wir gemeinhin, die "normalen Menschen" nennen ...
Auch der Autor Lion Feuchtwanger, wenngleich ein weltberühmter Schriftsteller, mußte vor den Nazis aus Deutschland fliehen - das Schwanken zwischen jüdischer Tradition und moderner Weltauffassung hat Feuchtwanger in seinem Werk immer wieder beschäftigt. In DIE JÜDIN VON TOLEDO beschwört er die Kraft der Liebe. - Und in Gestalt einer Fadenmarionette taucht der Autor auch selbst in der von ihm aufgeschriebenen Geschichte auf und verliert den Faden ...
Fünf Darsteller/innen, fünf Marionetten, eine Drehbühne, etliche Bücher, Projektionen und Musik verweben sich hier zu einem spannenden und unterhaltsamen Stück Theater auf der Basis eines historischen Romans.
„… wie immer trifft das Schicksal jene, die dafür leben, das Leben friedlicher zu machen … lebenswert … sie verlieren immer … sie sind zu unbewaffnet … und hoffen ständig weiter, die Geschichte würde sich mal nicht im Kreis bewegen … was sie auch nicht immer tut … es gibt Ausschläge des Pendels in längere Vernunftphasen … es gibt verschonte Generationen … es gibt Verschnaufpausen … es gibt auch Siege … … Gesellschaften, die sich entfundamentalisieren … aber die Kreuz- und Sichelmond-Ritter schlafen nicht … sie lauern auf ihre Gelegenheit … sie können warten … über lange Räume … man kriegt sie nie ganz weg … wenn man selbst nicht schießen will …“
(Zitat: Klaus Theweleit 'Der Knall')
Das Team:
Künstlerisches Team und Darsteller: Kathleen Gaube, Ariella Hirshfeld, Sabine Köhler, Dirk Neumann, Heiki Ikkola
Puppenbau: Christian Werdin
Musik: Frieder Zimmermann
Video, Schnitt, Mapping: Beate Gbureck
Licht: Josia Werth
Mitarbeit Regie: Jörg Lehmann
Gefördert durch:
Resonanz:
"Eines kann man Heiki Ikkola (und der Cie. Freaks und Fremde) nicht vorwerfen: Unterkomplexität im Denken wie Handeln. So bezieht sich seine Themenauswahl über die Jahre hinweg immer wieder auf aktuelle Weltprobleme. Auch das jüngste Werk – „Die Jüdin von Toledo“ nach Lion Feuchtwanger – lässt sich sehr gut an derzeitige Debatten anschließen, es passt aber auch in den klassischen literarischen Wertekanon, der seit Lessing immer wieder auf dem Theater verhandelt wird.
Mit übersprühendem Tatendrang infiziert Ikkola sein ganzes Umfeld. Dazu kommt die Lust an systemischer Schwarmintelligenz – er bezieht seine künstlerische Umgebung in die Prozesse ein – in erster Linie natürlich Sabine Köhler, mit der er nicht nur ein Berliner Ernst-Busch-Diplom gemein hat, sondern auch seit 2006 als Doppelspitze bei Cie. Freaks und Fremde agiert. Mittlerweile sorgt er mit rund acht weiteren assoziierten Künstler*innen ... Das Credo seit der ersten Produktion ist die kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit dem „Anderen“, dem Unbekannten bis Unmöglichen – die Suche nach dem Konflikt, auch mit sich selbst. Das birgt die Gefahr der Überforderung von Publikum aller Art, ist aber besser als das Gegenteil.
Nun also seitens der Freaks wieder ein Gemeinschaftswerk: Alle fünf Spieler*innen beherrschen Schauspiel, besitzen markante Stimmen, vier wagen sich an Marionetten und drei beherrschen das qua Ausbildung ganz vorzüglich. Neben diesem Mix werden wie gewohnt alle Sinne strapaziert – Lichtregie, Video- und Musikeinsatz, teils auch choreographische Eleganz sind wie üblich im Einklang mit ungewohnten Theatermitteln: hier der Einsatz von großen Schulkarten, einer Art manueller Drehbühne und einem Röhrenradio plus Schreibstubenutensilien aus der Zeit der Romanentstehung vor zwei Generationen.
Dazu singt Sabine Köhler solo vorzüglich wie schleppend eine Neuversion von Britney Spears‘ „Toxic“. Alle gemeinsam trällern zu Rammstein, während der Dresdner Musiker und Komponist Frieder Zimmermann hinten neben dem Technikpult live seine eigenen Arrangements per Gitarre einspielt. Bei den Endproben oblag dem Dramaturgen Jörg Lehmann dann die Draufsicht, der die Ausuferungen ein wenig kanalisierte und die Stromschnellen besänftigte – sodass er unter „Mitarbeit Regie“ geführt wird." (FIDENA - Portal des Deutschen Forums für Figurentheater und Puppenspielkunst e.V.)